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diocles. Ein digitales Personenlexikon zum Sport im Altertum

Mehr denn je hat sich heute das Medium des World Wide Web, häufig bezeichnet als „Web 2.0“, in Form von digitalen Buchveröffentlichungen oder elektronischen Quelleneditionen der Altertumswissenschaft bemächtigt. In Graz entstand unter der Federführung von B. Mauritsch-Bein und W. Petermandl im Rahmen sporthistorischer Forschungen das Quellenarchiv spectatores, das als digitales Arbeitsinstrument und virtuelles Nachschlagewerk in gewisser Weise das durch I. Weiler initialisierte Projekt, die Quellendokumentation zur Gymnastik und Agonistik im Altertum (Weiler (Hg.), Quellendokumentation zur Gymnastik und Agonistik im Altertum, 7 Bde., 1991-2002), in die Moderne (e-Science) führt.
In Magdeburg befindet sich die digitale Datenbank TheDeMa (Thesaurus Defixionum Magdeburgensis) im Aufbau, die alle defixiones mit ihren verschiedenen Merkmalen erfassen möchte und als ein aktualisierbares Corpus der Fluchtafeln zur Verfügung stehen soll.
Das elektronische Archiv diocles möchte ein weites Spektrum an Personen systematisch anzeigen. Das sind in erster Linie die Protagonisten selbst, also die Sportler des griech.-röm. Altertums, unter denen sich Angehörige fast aller Mittelmeerländer finden. Darüber hinaus sollen auch Personen aus dem unmittelbaren Umfeld des Sports (griech. Pferde- und röm. Rennstallbesitzer, Trainer, Schieds- und Kampfrichter, Veranstalter von Sportfesten, Besitzer von Gladiatorenschulen etc.) in diocles aufgenommen werden. Mit dieser Synthese sollen Grundlagen geschaffen werden für die Erforschung sozialer Athletenstrukturen ebenso wie für die Gewinnung allgemeiner Erkenntnisse in die Organisation und Kultur des Sports der Antike. Vor allem aber soll das Lexikon dazu dienen, das weit verstreute, auch für Spezialisten nicht mehr überschaubare Quellenmaterial zu erfassen und für weiterführende Arbeiten jeglicher Art verfügbar zu machen. Besonders beim Fund neuer Inschriften würde das Personenlexikon eine schnelle Information erlauben. Die Anführung fiktiver Athleten, wie sie beispielsweise in den Satiren von Lucillius (1. Jh. n. Chr.) vorkommen (AP XI 75,77,81,208) soll nach Möglichkeit vermieden werden.
Der Begriff Sportler umfasst hier zuerst diejenigen historisch belegbaren Personen der Antike, die nach heutigem Sprachgebrauch als "Leistungssportler" bezeichnet werden. Die Anfänge der Berufsathletik reichen wohl ins 6. Jh. v. Chr. zurück, als in Griechenland die großen Nationalspiele und auch kleinere Feste entstanden. Dementsprechend sind die nicht-inschriftlichen Belege, die sich auf das 8. Jh. v. Chr. beziehen - wie beispielsweise die Olympionikenliste des Hippias von Elis - in ihrer Aussagekraft als recht vorsichtig zu behandeln. Terminologisch ergibt sich ein breites Personenspektrum, das sich hauptsächlich aus den Athleten der griech. Agone (gymnische und hippische Bewerbe) und den Wettkämpfern der röm. Spiele (ludi) in den drei Hauptformen ludi circensi, munera und venationes zusammensetzt. Auch die zuletzt genannten Spektakel im Amphitheater, aus heutiger Sicht grausam und barbarisch erscheinend, waren ein bestimmendes Element in der sportlichen Wirklichkeit im Alten Rom. Bei Leichenspielen oder Teil derselben standen athletische Wettkämpfe und Gladiatorenkämpfe nebeneinander; brutal waren nicht nur die Gladiatoren-, sondern auch die Boxkämpfe oder das griech. Pankration.
Wie bereits erwähnt, finden hier in einigen Fällen Personen Aufnahme, für die der Begriff „Sportler“ nur dann zutrifft, wenn man ihn in einem sehr weiten Sinne oder indirekt behandelt und dabei manchmal die reale sportliche Leistung oder den Wettkampfgedanken ausklammert. So wurden in den hippischen Wettbewerben Griechenlands nicht die Wagenlenker bzw. Reiter, sondern die Pferdebesitzer als Sieger ausgerufen. Bekanntlich wurde über diesen Umweg Kyniska zu Beginn des 4. Jh. v. Chr. als erste Frau überhaupt Olympiasiegerin (Ebert, Griechische Epigramme auf Sieger an gymnischen und hippischen Agonen, ASAW, Phil.-hist. Kl. 63,2, 1972, Nr. 33; Canalo de Rossi, Hippiká. Corse di cavalli e di carri in Grecia, Etruria e Roma, Vol. I: La gara delle quadrighe nel mondo greco, Nikephoros Beihefte, Bd. 18, 2011, 62ff.). Dessen ungeachtet soll die Spartanerin wie auch alle anderen griech. Pferdeeigner in diocles als "Person dem Sport zugehörig" geführt werden.
Im Sport zu röm. Zeit gibt es in ähnlicher Weise zweifelhafte Beispiele: Gewiss können die Auftritte einiger Kaiser (Nero, Caligula, Didius Julianus et al.) in Circus oder Amphitheater nicht als Sport im eigentlichen Sinne bezeichnet, sondern müssen bisweilen als „Kinderspiel“ abgetan werden, wie es Cassius Dio (73,19,5) als Zeitzeuge im Falle der Schaukämpfe von Kaiser Commodus beschreibt. Laut Sueton (Caes. 39,2-4) kämpften im Jahre 46 v. Chr. Furius Leptinus, der aus einer Praetorenfamilie abstammte, und Quintus Calpenus, ein ehemaliger Senator und Advokat, im Rahmen der großen Gladiatorenspiele, die Caesar auf dem Forum Romanum ausrichten ließ. Ferner stößt der Benutzer von diocles auf weibliche Gladiatoren. Erhalten hat sich z. B. ein Relief aus Halikarnassos, das heutzutage im Brit. Museum zu sehen ist (CIG 6855f.). Es zeigt Achillia und Amazona in der Ausrüstung von provocatores. Ob Kämpfe zwischen Frauen ernstzunehmender Bestandteil von munera waren, darf angesichts der harten Ausbildung bezweifelt werden. Darüber hinaus soll diocles Tänzer (beispielsweise den Stierkämpfer Apphion Heronas aus Alexandria; s. dazu Merkelbach/Stauber, Steinepigramme aus dem griechischen Osten, Bd. 1, 1998, 118.), Akrobaten oder Reiterakrobaten erfassen. Bekannt ist die Grabinschrift des Fuscus, der cursor der grünen Renngesellschaft gewesen ist (ILS 5278).
Bewusst abgrenzen möchte sich diocles von den Teilnehmern musischer Agone, die an großen panhellenischen Wettkampforten, außer in Olympia, auftraten, obwohl ihre Wettkämpfe dort eine Einheit mit den gymnischen und hippischen Agonen bildeten. Auch die Herolde und Trompeter, deren Wettkämpfe in Olympia seit Beginn des 4. Jhs. v. Chr. feste Bestandteile wurden, sollen in diesem Archiv keine Rolle spielen.
Der Aufbau der elektronischen Prosopographie versteht sich als "work in progress", so dass der Datenbestand kontinuierlich erweitert und langfristig erschlossen werden soll. Gegenwärtig umfasst das Lexikon die Biographien von 409 Personen (Stand: September 2016), welche vorderhand dem Experimentieren und Testen der Datenbank dienten. Allein die Anzahl der bekannten Olympiasieger beläuft sich auf knapp über 1000 (Decker, Neue Olympiasieger aus Ägypten, in: Waitkus (Hg.), Diener des Horus, Aegyptiaca Hamburgensia, Bd. 1, 2008, 67 Anm. 2), was etwa einem Viertel aller möglichen Olympiasieger entspricht. Im Übrigen ist dank der immer wieder zu erwartenden archäologischen Funde (Figuren, Vasen, Münzen, Inschriften, Mosaike etc.) mit einer vollständigen Erschließung des Themas zu einem fixen Datum nicht zu rechnen. Das Quellenmaterial, aus dem die Nachrichten kommen, ist weit gespannt. Es umfasst die gesamte Literatur (Geschichtsschreibung, Dichterwerke, Briefsammlungen, Urkunden oder Fachschriften etc.). Eine herausragende Rolle spielen ferner Inschriften in lateinischer und griechischer Sprache sowie Papyri.
Konventionell publizierte Vorarbeiten zu einem solchen Unternehmen, darunter die Liste der überlieferten Olympiasieger von L. Moretti (nach wichtigen Vorarbeiten von G. H. Förster im 19. Jh.), die im Bereich der Erforschung der griechischen Agonistik ein Meilenstein war (Moretti, Olympionikai, i vincitori negli antichi agoni olimpici, 1957; Ders., Supplemento al catalogo degli Olympionikai, in: Klio 52, 1970, 295-303, überholt durch Dens., Nuovo supplemento al catalogo degli Olympionikai, in: Miscellanea Greca e Romana 12, 1987, 67-91, erneut abgedruckt in: Coulson/Kyrieleis (Hg.), Proceedings of an International Symposium on the Olympic Games, 5-9 September 1988, 1992, 119-128), haben dazu geführt, dass in einzelnen Bereichen nicht nur eine gewisse Übersicht gewonnen werden konnte, sondern auch einige recht vollständige Biographien antiker Athleten entstanden sind. Besondere Beachtung fanden seit jeher die Olympiasieger und die Periodoniken, denen es gelang, in allen panhellenischen Agonen Sieger zu sein (Knab, Die Periodoniken, 1934). Hinzu sind einzelne Untersuchungen gekommen, wie beispielsweise die Abhandlung von J. Ebert über griechische Siegerepigramme (a.a.O.), die eine Reihe von Sportlerbiographien erschlossen haben. Während frühere (wichtige) Arbeiten in erster Linie darauf bedacht waren, das Wesen der griechischen Sportarten zu erörtern und zu erklären (z.B. Jüthner, Die athletischen Leibesübungen der Griechen, Bd. 2.1, 1968; Weiler, Der Sport bei den Völkern der Alten Welt, 1988.), konnte im Laufe der Zeit durch weitere Publikationen ein gewisser Überblick über die namentlich bekannten Sportler, die in Olympia und an Festspielorten jenseits der Olympischen Stätte wirkten, gewonnen werden (Buhmann, Der Sieg in Olympia und in den anderen panhellenischen Spielen, 1972; Poliakoff, Combat Sports in the Ancient World, 1987; Decker, Sport in der griech. Antike, 1995; Mann, Athlet und Polis im archaischen und frühklassischen Griechenland, Hypomnemata Bd. 138, 2001; Miller, Ancient Greek Athletics, 2004; Sinn, Das antike Olympia, 2004). Systematisch erfasst sind inzwischen auch die Sieger der Pythien in Delphi und diejenigen der Wettkämpfe von Nemea und am Isthmos von Korinth (Klee, Zur Geschichte der gymnischen Agone an griech. Festen, 1918; Maróti, A Delphoi Pythia sportversenyeinek gyöztesei, 2000; Naumann, Die Isthmischen Spiele, Diplomarbeit DHSH Köln 1990, 118-146 ; Kostouros, Nεμέων ἄθλων διήγησις, τόμος α’, ἔμμετρος έπιχώριος λόγος μετά σχολίων, τόμος β’, Νεμεᾶται. 286 Νεμεονίκες της ’Αρχαιότητας, 2008. Eine Zusammenstellung der Isthmioniken von A. Farrington erschien vor Kurzem als Beiheft in der Reihe Nikephoros: Farrington, Isthmionikai. A Catalogue of Isthmian Victors, 2012). Für die später in den Kreis der erwiterten Periodos erhobenen Kapitolia hat M.L.Caldelli die Teilnehmer aufgeführt (Caldelli, L´Agon Capitolinus, 1993). Es mangelt jedoch weiterhin an einer geschlossenen Gesamtübersicht nicht nur der Sieger, sondern der Sportler der Antike, zumal erschwerend hinzukommt, dass Agone selbst in kleinen Polisgemeinschaften durchgeführt worden sind. Ein Stiftungsdekret aus dem 2. Jh. v. Chr. von der Kykladeninsel Amorgos z. B. beschreibt das sportliche Programm eines solchen lokalen Sportfestes zu Ehren des Kampfsportlers Aleximachos, Sohn des Kritolaos (Laum, Stiftungen in der griech. und röm. Antike, 1914, Nr. 50, Z. 79-87; 100-103; IG XII Nr. 515).
Die bis dato kaum (systematisch) erforschten Wagenlenker der röm. Kaiserzeit sind heute auf Grund der Prosopographie von G. Horsmann so gut wie vollständig erschlossen (Horsmann, Die Wagenlenker der röm. Kaiserzeit, 1998), und die Wettkämpfer im Amphitheater sind infolge einiger Arbeiten zu einem großen Teil bekannt (z.B. Robert, Les gladiateurs dans l´Orient grec, 1940; Grant, Gladiators, 1967; Auguet, Cruauté et civilisation: les jeux romains, 1970; Cameron, Bread and Circuses, 1974; Veyne, Le pain et le cirque, 1976; Ville, La gladiature en occident des origines à la mort de Domitien, 1981; Meijer, Gladiatoren a.a.O.; Weeber, Panem et circenses, 1994; Junkelmann, Das Spiel mit dem Tod. So kämpften Roms Gladiatoren, 2000; Wiedemann, Kaiser und Gladiatoren, 2001; Mann, „Um keinen Kranz, um das Leben kämpfen wir!“ Gladiatoren im Osten des Römischen Reiches und die Frage der Romanisierung, 2011). J.-P. Thuillier hat in seiner Publikation zum röm. Sport, die erwartungsgemäß die Circusakteure in den Mittelpunkt rückt, auch die Sportler thematisiert, die in Rom athletische Wettkämpfe, Sport als Freizeitvergnügen oder Körperertüchtigung zur militärischen Vorbereitung ausgeübt haben (Thuillier, Le sport dans la Rome antique, 1996). Eine geschlossene Sammlung der Sportler im antiken Rom ist jedoch bislang ein Desiderat der Forschung geblieben.
Zwar vermischen sich vor allem in Bezug auf die vitae berühmter Athleten der archaischen Zeit zuweilen historische Wahrheit und Legende, dennoch können einzelne unverbürgte oder die sportlichen Leistungen überhöhende Erzählungen zumindest einen Einblick in die Bedeutung und den Status solcher Athleten geben. Ein anderes Problem tritt insbesondere im römischen Sport zu Tage: Zahlreiche Wettkämpfer in Circus und Amphitheater sind namentlich nur durch ihr zugelegtes Pseudonym (signum oder supernomen) überliefert, wie etwa die bereits erwähnte Achillia oder Eros, Narcissus, Serpentius etc. In diocles sollen indes auch Sportler mit Künstlernamen Aufnahme finden, da jene Akteure reale sportliche Leistungen vollbracht haben und de facto unter diesen Namen der Öffentlichkeit respektive dem Publikum bekannt waren.
diocles möchte für Benutzer ein umfassendes Such- und Nachschlagewerk sein, das alle wesentlichen Fragen zu den namentlich überlieferten Sportlern des klassischen Altertums beantwortet. Die Vorteile eines Archivs in digitaler Form liegen dabei auf der Hand: Zum einen bietet der Computer die Möglichkeit einer zeit- und ortsunabhängigen Datenbank-Recherche, d.h. beliebige Begriffe (Sportler, Disziplin, Zeit etc.) können sehr zügig gesucht und angezeigt werden. Zum anderen können Einträge der Datenbank jederzeit durch den Herausgeber korrigiert, ergänzt oder aktualisiert werden, beispielsweise durch neue wichtige Literatur. Der Aufbau der einzelnen Artikel folgt einheitlichen Grundsätzen, nach denen mit der Namensnennung des Sportlers zunächst (wie es sich aus den Zeugnissen rekonstruieren lässt) seine Disziplin mit der zugehörigen Altersklasse und Sportstätte, das Jahrhundert seines Lebens und sein Herkunftsort– bzw. provinz angegeben werden. Daran schließt sich eine Biographie an, welche die wichtigsten Daten enthält und zum Verständnis sporthistorischer Zusammenhänge inhaltlich darüber hinausgehen kann. Darauf folgt die Quelle und ggf. Sekundärliteratur. Die Nachweispraxis innerhalb eines Artikels soll durch die Angabe des Autors und der zugrunde liegenden Überlieferung wissenschaftlichen Standards genügen.
Die Erstellung der Einzelartikel als laufende Arbeit setzt eine fachliche Kontrolle durch den Herausgeber voraus. Langfristiges Ziel des Vorhabens diocles ist die Drucklegung einer Prosopographie der griechischen und römischen Sportler; immerhin ist deren Zahl endlich. Die Übersetzung der Artikel in die englische und französische Sprache wird vorerst ein weiteres Desideratum bleiben. Die Realisierung des Projektes ist im Wesentlichen von der Mitarbeit kundiger Autoren, die sich um die wissenschaftliche Aufarbeitung des Sports im Altertum verdient machen möchten, abhängig, welche gebeten werden Kontakt aufzunehmen zu:

J. Tremel, In der Aue 52a, 50999 Köln, jtremel@hotmail.com

Das digitale Archiv diocles ist optimiert für die Webbrowser Mozilla Firefox (ab 3.0), Internet Explorer (ab 8.0) und Google Chrome. Die Nutzung von Windows Internet Explorer kann (je nach Version) zur Einschränkung von bestimmten Funktionen, z.B. des Alphabets, führen. Dank gebührt Maximilian Friedel (Köln), der dem Verfasser bei der Programmierung und Einrichtung der Datenbank sehr geholfen hat.